Hätte, hätte, Fahrradkette!
Die 5 wichtigsten Merkmale komplexer Situationen
Es klingt zu schön, um wahr zu sein! Folge ich den Angeboten unterschiedlichster Experten und Management-Gurus sollte es möglich sein, sie „zu beherrschen“, sie „zu managen“ oder sie doch zumindest „zu reduzieren“ – die Komplexität.
Doch Vorsicht! Wäre die „Komplexität“ eines Systems oder einer Situation beherrschbar, zu managen oder zu reduzieren, dann wäre ein komplexes System oder eine komplexe Situation eben gerade nicht mehr „komplex“ sondern bestenfalls noch „kompliziert“. Und das macht für uns in einem „Entscheidungsprozess“ einen gewaltigen Unterschied aus!
Als Einstieg in die Frage „Was macht den Unterschied aus zwischen einfach, kompliziert und komplex“ empfehle ich einen Blick auf das „Cynefin Framework““ von Dave Snowden (youtube.com).
Immer wenn wir uns im privaten oder im beruflichen Leben mit undurchsichtigen und unerwarteten Situationen konfrontiert sehen, benutzen wir gerne den Begriff der „Komplexität“. Wenn etwas schief ging, dann auch als Entschuldigung: Es war einfach zu komplex! Das betrifft uns als Kunden im Elektrofachmarkt, der vor einer erschlagenden Produktpalette verschiedener Waschmaschinen steht genauso wie den Unternehmer Friedhelm, der unter sich schnell verändernden Marktbedingungen wegweisende Entscheidungen für die „Nachhaltigkeit“ in seinem Unternehmen treffen möchte.
Alles Grund genug, sich mit der Fragen zu beschäftigen, was Komplexität eigentlich ist, warum sie uns so zu schaffen macht und was einen erfolgreichen Umgang mit Komplexität ausmacht.
Doch langsam und der Reihe nach…
Zum Einstieg eine Geschichte, die verdeutlicht, dass jeder von uns täglich mit komplexen Entscheidungssituationen konfrontiert ist. Anhand dieser Geschichte werde ich Dir die zentralen Merkmale von komplexen Entscheidungssituationen vorstellen.
„Bert Beispiel hat ein paar Tage frei – endlich, denn er hat so viel gearbeitet, dass er kaum eine freie Minute hatte. Und jetzt will er seine freien Tage planen:
Er möchte gerne mal ein paar Tage mit der Familie verbringen, z.B. in einen großen Freizeitpark fahren. Das hat er schon sehr lange versprochen und die Schulferien sind schon fast vorbei. Es wird höchste Zeit, dass er sich mal im Reisebüro erkundigt, was denn eine solche Reise kosten soll. Er war bereits bei drei verschiedenen Büros, die ihm alle unterschiedliche Preise genannt haben. Vielleicht könnte er noch ein billigeres Angebot finden, aber er kann ja nicht alle Reisebüros abklappern. Na ja, fahren möchte er trotzdem … .
… Allerdings, jetzt zum Ende der Ferien, könnte die Autobahn total überfüllt sein und sie würden ewig im Stau stecken … und dann fällt ihm noch ein, dass er vorher das Auto noch reparieren wollte – er glaubt zwar, dass nur eine Kleinigkeit kaputt ist, und dass er das selbst machen kann – aber so sicher ist er sich da auch nicht … er sollte mal nachschauen… .
Das wäre schon eine gute Idee, aber wann soll er das denn noch machen? Er hat kaum Zeit … . Er könnte das Auto in eine Werkstatt bringen, obwohl ihm das auch wieder zu teuer ist … da fällt ihm ein, dass er ja seinen Freund Hans fragen könnte! Hans kennt sich gut aus und macht sonst immer kleine Reparaturen für ihn … .
Bert hat aber ein schlechtes Gewissen, denn er meldet sich immer nur dann bei Hans, wenn er Hilfe braucht und sonst nicht … . Er sollte sich mal wieder mehr um seine Freunde kümmern! Er hätte schon Lust, mal wieder mit den Freunden um die Gassen zu ziehen! Vor allem, wenn Frank und Anna jetzt wegziehen und er die beiden in Zukunft so selten sehen wird, dann wäre es schön, ein bisschen Abschied zu feiern …, aber ob der Babysitter dann wohl Zeit hat? Seine Eltern kann er ja nicht schon wieder fragen, die haben ihn ja schon vor drei Wochen gebeten, mal im Garten zu helfen, und er hat nie Zeit und kommt immer nur vorbei, um die Kinder abzuholen … . Auch das wäre mal wieder schön, die Eltern zum Essen einzuladen …
Außerdem fällt ihm jetzt noch ein, dass sein Chef ihm noch Arbeit für das Wochenende gegeben hat. Er wollte sich für eine andere interne Stelle bewerben und deswegen sollte er die Arbeit auch noch erledigen … . Na ja, und irgendwie hatte er sich ja auf ein ganz ruhiges Wochenende gefreut – ausschlafen, Füße hochlegen, nichts tun und einfach nur ein bisschen freie Zeit für sich selbst haben … Je länger er überlegt, desto weniger weiß er, was er am Wochenende machen soll …
Für was soll er sich denn jetzt entscheiden?
Mit ähnlichen Herausforderungen und Fragestellungen wie Bert in seinem Privatleben sind wir auch im beruflichen Alltag ständig konfrontiert – und zwar meistens nicht nur wir alleine, sondern unser gesamtes Team und der ganze Rest darum herum.
Die 5 wichtigsten Merkmale komplexer Systeme & Situationen
Du kennst sicher auch die Situation, dass…
Merkmal 1
Große Anzahl an Elementen
…Du bei Deinen täglichen Entscheidungen eine groß Anzahl verschiedener Faktoren berücksichtigen musst.
Bert zum Beispiel muss bei seiner Wochenendplanung an seine Familie, seine Freunde, seine Eltern, an seinen Beruf, an seinen Kontostand und noch an einiges mehr denken…
Merkmal 2
Vernetztheit – alles hängt mit allem zusammen
…sich Deine Entscheidungen und Handlungen vielfältig auswirken.
Wenn Bert mit seiner Familie wegfährt, wird er keine Zeit zum arbeiten haben, er kann weder mit seinen Freunden weggehen noch seine Eltern zum Essen einladen, noch…
Merkmal 3
Intransparenz – nicht alle notwendigen Informationen sind zugänglich
…Du nicht immer alle notwendigen Informationen zur Verfügung hast, um einen Aufgabenbereich oder eine Fragestellung wirklich genau überblicken zu können.
Bert weiß weder, ob sein Auto die Fahrt anstandslos übersteht, noch weiß er, ob er stundenlang im Stau stehen wird. Und er wird auch nie wissen, ob es nicht in irgendeinem Reisebüro ein Angebot gibt, das wesentlich billiger ist als die, die er gefunden hat. Schließlich kann er ja nicht alle Reisebüros der Welt abklappern…
Merkmal 4
Zieloffenheit – viele mögliche und teilweise unvereinbare Ziele
…Du manchmal verschiedene Ziele festlegen und Prioritäten setzen musst, um eventuell festzustellen, dass Du nicht alle Ziele erreichen kannst, weil diese miteinander unvereinbar sind.
Bert kann nicht gleichzeitig mit der Familie wegfahren, mit seinen Freunden weggehen und ein geruhsames Wochenende alleine verbringen… Ihm wird nichts anderes übrig bleiben, als Prioritäten zu setzen. Nur weiß er nicht, was denn nun das Wichtigste ist …
Merkmal 5
Eigendynamik – die Dinge ändern sich von selbst
… dass sich die Dinge auch dann, wenn Du nichts tust, von selbst verändern
Die Schulferien werden nach diesem Wochenende vorbei sein, Berts Freunde werden wegziehen, möglicherweise wird ein anderer sich für die gleiche Stelle bewerben, die er anstrebt – die Situation in der Bert sich befindet, wird anders werden…
Situationen, die alle diese 5 Merkmale aufweisen, nennt man auch „komplexe Entscheidungssituationen“!
Noch mal eine kurze Zusammenfassung der Merkmale von Komplexität:
In einer ähnlichen Situation wie Bert Beispiel hast Du sicher auch schon mal gesteckt. Du hast Dich dann für eine der Möglichkeiten entschieden und gedacht, dass dies die beste Lösung sei… und vielleicht hast Du Dir kurze Zeit später auch gesagt:
„Mensch, hätte ich nur an … gedacht“,
„hätte ich… vorher gewusst“,
„… habe ich leider übersehen“ oder
„Hinterher ist man immer schlauer“.
Hätte, hätte, Fahrradkette! Das passiert jedem von uns – jeden Tag und immer wieder! Im Privatleben können wir die negativen Folgen oft ausbügeln; im Beruf jedoch wirken sich die Konsequenzen meist stärker aus und betreffen schnell eine ganze Reihe von Kollegen und bringen manchmal ein ganzes Team in die Zwickmühle. Auch Du hattest wahrscheinlich schon oft durch Fehler aus anderen Bereichen mehr Arbeit als nötig.