Agile Transformation

Agile Transformation

„Mitarbeiterführung wird überschätzt – absichtsvolle Arbeit am System wird unterschätzt!“

Niels Pfläging im Gespräch mit HansJörg Schumacher

Niels, bei unserem ersten Workshop zu Komplexithoden & Organisationsentwicklung 4.0 in Berlin im Mai tauchte in den Gesprächen und in den Arbeitsgruppen am Nachmittag immer wieder das Schlagwort Empowerment auf. Das wurde sehr kontrovers diskutiert. Was verstehst Du unter Empowerment?

Empowerment hat eine spezifische Bedeutung. Sie bezieht sich immer auf Macht-Übertragung von Managern oder „Führungskräften“ auf einzelne Mitarbeiter. Das Problem dabei: Damit eine Organisation selbstorganisiert bzw. agil werden kann, sollten nicht einzelne Mitarbeiter ermächtigt werden. Wenn man agile Organisation anstrebt, dann müssen Teams ermächtigt werden! Das ist ein gewichtiger Unterschied. Denn bei Empowerment Einzelner entsteht nicht notwendigerweise Zusammenarbeit. Erst bei der Ermächtigung von Teams kann Dezentralisierung von Entscheidungen systematisch erzeugt werden. Wir nennen das Team-Autonomie.

Warum dies einen Unterschied macht: Mitarbeiter in einer Organisation können nicht alleine leisten – sie können nur in Wertschöpfungskonstellationen miteinander-füreinander leisten. Also in Teams. Empowerment ist darum ein Denkfehler.

“Empowerment ist nicht das gleiche wie Team-Autonomie.”

Gibt es dann Deiner Meinung nach überhaupt so etwas wie Schlüsselfaktoren beim Empowerment der Mitarbeiter – oder sollten wir unter dem Stichwort der Organisationshygiene diesen Begriff gleich mit über Bord werfen?

Ja, ich denke Empowerment ist ein Fall für die Organisationshygiene. Weil Empowerment einzelner Mitarbeiter eben prinzipiell nicht zu mehr Selbstorganisation beiträgt. Empowerment springt ganz wesentlich zu kurz. Es ist also egal, wie man das anstellt – es gibt nichts Richtiges im Falschen. Dieses prinzipielle Problem ist meiner Ansicht nach auch der Grund, warum die Empowerment-Bewegung der 1990er Jahre letztlich scheitern und versanden musste. Für eine Renaissance der Unternehmensführung braucht es eben Team-Autonomie. Nicht “Delegation”, wie in den 1970ern und 1980ern propagiert, und auch nicht “Empowerment” wie in den 1990ern.

Also Ja – über Bord damit!

In unseren Gesprächen während des Workshops tauchte auch immer wieder die Frage nach der idealen agilen Organisationsform in Bezug auf Hierarchie, Struktur, Prozesse und Führung auf. Wie beantwortest Du das?

Nun, eine agile Organisationsform, verstanden als komplexitätsrobuste und menschenwürdige Organisation, lässt sich ganz allgemein, wenn man also über eine spezifische Organisation hinausdenkt, nur anhand von Prinzipien beschreiben. Nicht über Regeln, Eigenschaften oder gar Tools.

Ein Beispiel dafür, wie das geht, ist das Agile Manifest. Für projekthafte Arbeit einzelner Teams hat das Agile Manifest aus dem Jahr 2001 solche Prinzipien sehr präzise beschrieben. Eine agile Team-Organisation insgesamt muss Prinzipien wie dem Beta-Kodex folgen (www.betacodex.org): Beta ging aus dem Beyond-Budgeting-Modell hervor, das in der gleichen Zeit entstand wie das Agile Manifest. Nur handelt Beta eben nicht von projekthafter Arbeit (wie die Softwareentwicklung), sondern von ganzen Organisationen. Beta besteht aus einem unteilbaren Set von 12 Prinzipien, die “alle wesentlichen Aspekte” einer Komplexitäts-robusten Organisation zu umschreiben versuchen. Das Wort unteilbar ist hier ganz wichtig: Prinzipiengeleitete Modelle wie Agile oder Beta sind nicht teilbar. Man kann diese Modelle nicht einfach in ihre Einzelteile, ihre einzelnen Prinzipien zerlegen. Sonst werden sie zu Unsinn.

“Prinzipiengeleitete Modelle wie Agile oder Beta sind nicht teilbar. Man kann sie nicht einfach zerlegen. Die Einzelteile werden sofort zu Unsinn.”

Einige Teilnehmer bei unserem Workshop haben ganz gezielt nach „Stellschrauben“ gefragt, mit denen eine agile Organisation zu führen ist. Wie reagierst du auf diese Frage nach Betriebssystemen und Frameworks, die derzeit vielerorts diskutiert wird?

Das ist vermutlich auch so eine “falsche Frage”. Eine selbststeuernde Organisation lässt sich ja nicht führen, im Sinne von “Steuerung”. Sie muss qua Definition selbstorganisiert, also “marktlich selbstgeführt” sein. Damit das funktionieren kann, müssen bestimmte Prinzipien gelten – wie eben die des Beta-Kodex. Frameworks sind immer eine unterkomplexe Antwort auf die Fragen, die sich in Organisationen stellen. Es braucht eher schon „Gummibänder“, wie man bei dm-drogerie markt sagt, oder Grundgesetze.

Können wir eigentlich den „agilen Reifegrad“ einer Organisation messen? Und wenn Ja, wie machen wir das?

Messen würde ich das überhaupt nicht. Man kann einen “agilen Reifegrad”, also den Grad von Selbstorganisation einer Organisation ja nicht wirklich messen – denn Kompliziertes lässt sich messen, Komplexes nicht. Den Grad von Selbstorganisation einer Firma lässt sich nur beurteilen.

Was man tun kann: Man kann solche Messung durch Diagnostik gewissermaßen “simulieren”. Eine Diagnostik könnte z.B. die Anwendung der genannten 12 Prinzipien “abfragen”. Dazu bedarf es aber zwischendurch des Urteils. Es handelt sich da nicht um Messung im eigentlichen Sinn.

Wie sollte nach dem Beta-Kodex die ideale Mitarbeiterführung aussehen, in Bezug auf Führungskultur, Ziele festlegen, Entscheidungen treffen und Kontrolle ausüben?

Mitarbeiterführung wird überschätzt. Diese Vorstellung der Führung von Mitarbeitern ist ja ein Artefakt aus dem Industriezeitalter. Dass diese Vorstellung so populär ist, das ist historisch begründet. In Management oder command-and-control oder Alpha, wie wir das nennen, war die Steuerung und Kontrolle individueller Mitarbeiter durch ihre Vorgesetzten wahnsinnig wichtig. Das wirkt heute noch nach.

“Mitarbeiterführung wird überschätzt.”

Bessere Führung – verstanden als ein soziales Phänomen innerhalb von Teams – misst „Mitarbeiterführung“ durch Vorgesetzte indes nur sehr geringe Bedeutung zu. Sie verzichtet ja bewusst auf Fremdsteuerung. Dieser bewusste Verzicht auf Fremdsteuerung ist in den 12 Prinzipien des Beta-Kodex gut erkennbar. In Selbststeuerung wird dann Führung zu einer Dynamik, die im Zwischenraum zwischen Teammitgliedern stattfindet. Unter diesem Bedingungen wird Disziplin im Miteinander möglich.

Was denkst Du, haben Mitarbeiter davon, wenn sie Verantwortung in der Firma übernehmen? Lässt sich auf diesem Weg die intrinsische Motivation fördern?

Wenn man annimmt, dass Menschen intrinsisch motiviert sind, dann bedeutet das u.a., dass man annimmt, dass diese Menschen naturgemäß zu etwas beitragen wollen, das größer ist als sie selbst. Sie wollen also Verantwortung übernehmen, sie wollen ihr Potenzial bei der Arbeit entfalten – und werden das auch tun, wenn die Bedingungen stimmen!

Man muss die Motivation also nicht fördern. Es bedarf nur der Schaffung geeigneter Verhältnisse, damit die intrinsische Motivation arbeitender Menschen sich in der Organisation Raum greifen kann.

Wie könnte denn eine Firma eine hohe Mitarbeiterzufriedenheit bei hoher Leistungsbereitschaft bekommen?

Ich denke, indem man sie in Ruhe arbeiten lässt.